DNB-Sacherschließung: Neues für die Reihen A und B

Alle paar Jahre wird die Bibliothekscommunity mit Veränderungen in der inhaltlichen Erschließung durch die Deutsche Nationalbibliothek konfrontiert. Sicher werden sich viele noch an die Einschnitte des Jahres 2014 für die Reihe A erinnern: Seither werden u.a. Ratgeber, Sprachwörterbücher, Reiseführer und Kochbücher nicht mehr mit Schlagwörtern erschlossen (vgl. das DNB-Konzept von 2014). Das Jahr 2017 brachte die Einführung der maschinellen Indexierung für die Reihen B und H bei gleichzeitigem Verlust der DDC-Tiefenerschließung (vgl. DNB-Informationen von 2017). Virulent war seither die Frage, was mit der Reihe A passieren würde. Seit wenigen Tagen kann man dies nun auf der Website der DNB nachlesen. (Nebenbei: Es ist zu befürchten, dass viele Links in diesem Blog-Beitrag in absehbarer Zeit nicht mehr funktionieren werden, da ein Relaunch der DNB-Website angekündigt ist. Wie beim letzten Mal wird es vermutlich auch diesmal keine Weiterleitungen von den alten auf die neuen URLs geben.)

Ausschnitt aus der Ankündigung der DNB vom 12.04.2019
Ausschnitt aus der Ankündigung der DNB vom 12.04.2019

Übergangskonzept für die Reihe A

Schauen wir uns die Änderungen im Detail an und beginnen wir mit der Reihe A. Die grundsätzliche Absicht der DNB, auch "körperliche Medienwerke" künftig maschinell zu erschließen, wird erneut bekräftigt. Betont wird aber, dass es trotzdem noch eine "intellektuelle Kernerschließung" für einen Teil der Bestände geben werde, "z.B. für Fächer, bei denen die maschinelle Erschließung keine zufriedenstellenden Ergebnisse erbringt, aber auch zur Weiterentwicklung der maschinellen Verfahren oder zur Pflege der GND." Weiter heißt es: "Für welche Fächer und Publikationen eine intellektuelle Erschließung langfristig oder dauerhaft notwendig und sinnvoll ist, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht sagen." Offenbar hofft man, dass dies in ca. drei bis fünf Jahren anders aussehen wird. Welche Teile der Reihe A während dieser Übergangsphase von der DNB noch intellektuell inhaltlich erschlossen werden, wurde nun festgelegt. Die Regelungen gelten ab dem 1. Juli 2019.

Das neue Konzept habe "die DNB mit der Initiativgruppe Inhaltserschließung des Standardisierungsausschusses erarbeitet und mit dem Standardisierungsausschuss abgestimmt". Die genannte Initiativgruppe ist vielleicht nicht allen Mitlesenden bekannt. Sie besteht aus interessierten Mitgliedern des STA; im Protokoll der STA-Sitzung vom Juli 2018 heißt es dazu (S. 11):

"In seiner Sitzung am 8. Dezember 2017 beschloss der STA die Durchführung eines Workshops zum Thema "Inhaltserschließung". Die Erschließung und Informationsversorgung im Allgemeinen sollte, soweit für die Gesamtzusammenhänge erforderlich, mit bedacht werden.

Als Ergebnis des Workshops im März hat sich eine temporäre Initiativgruppe (IG) als Teilgruppe des STA gegründet. Sie befasst sich mit der Frage, wie eine bessere Abstimmung in der Modernisierung der Inhaltserschließung und der Erschließung im Allgemeinen zu erreichen ist und welche gemeinsamen Maßnahmen zu verabreden sind. Die IG als Teilgruppe des Standardisierungsausschusses ist für alle Mitglieder des STA offen und alle sind dazu eingeladen."

"Buchaffine" und "nicht-buchaffine" Fächer

Das von der DNB in Abstimmung mit der Initiativgruppe erarbeitete Übergangskonzept "orientiert sich an den Bedarfen buchaffiner Fächer" - womit eine neue Terminologie eingeführt wird. Das von mir sehr geschätzte Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache kennt das Wort "buchaffin" bisher nicht. Freies Googlen ergibt einige Treffer aus dem Bereich des Buchhandels: Beim buchaffinen Zusatzsortiment handelt es sich in der Sprache des Handels um Dinge, die in Buchhandlungen verkauft werden, aber keine Bücher sind (klassische Beispiele sind z.B. Karten oder Papeterie-Produkte). Hier ist nun aber etwas ganz anderes gemeint: Die NutzerInnen von buchaffinen Fächern haben, wie wir erfahren, "einen klaren Bedarf an gedruckten wissenschaftlichen Büchern aus deutschen Verlagsproduktionen".  Auf die Betonung von "wissenschaftlich" komme ich noch zurück.

Schauen wir uns zunächst die Liste der Sachgruppen an (auf derselben Seite), in der die nicht-buchaffinen Fächer mit einem eingeklammerten Sternchen gekennzeichnet wurden. Wenn ich mich nicht verzählt habe, sind es 27 normale Sachgruppen (von insgesamt 100), zzgl. der Gruppen B (Belletristik), K (Kinder- und Jugendliteratur) und S (Schulbücher). Als nach diesem Verständnis "nicht-buchaffin" wurden u.a. die Informatik (004) eingeordnet, die Psychologie (150), die kompletten Naturwissenschaften (500-590), etwas mehr als die Hälfte der 600er-Gruppen (u.a. 600 Technik und 610 Medizin, Gesundheit) sowie einige der 700er-Gruppen (u.a. 720 Architektur, 793 Spiel, 796 Sport). Nicht alles ist leicht nachvollziehbar. So gelten sowohl die Chemie (540) als auch die Technik (600) als nicht-buchaffin, hingegen soll die Technische Chemie (660) buchaffin sein.

Publikationen aus diesen nicht-buchaffinen Fächern erhalten künftig keine intellektuell vergebenen Schlagwörter und DDC-Notationen mehr, sondern nur noch Sachgruppen (wobei nicht gesagt wird, ob diese intellektuell oder maschinell vergeben werden). Als Ausnahme wird genannt: "(...) es sei denn, es handelt sich um wissenschaftliche Monografien, die z.B. historische, ethische oder rechtliche Aspekte des Faches zum Thema haben." Ich interpretiere dies so, dass die Ausnahmeregel nur für wissenschaftliche Publikationen über "Meta-Aspekte" des jeweiligen Fachs gilt. Ich bin aber auch schon gefragt worden, ob das "z.B." den DNB-ErschließerInnen möglicherweise den Spielraum geben soll, wissenschaftliche Monografien auch zu weiteren Themen des jeweiligen Fachs zu erschließen. Es würde mich persönlich zwar wundern, aber auszuschließen ist es natürlich nicht.

Die FachreferentInnen, die entsprechende Fächer betreuen, werden am besten wissen, wie hoch der Verlust der DNB-Sacherschließung in diesen Segmenten einzuschätzen ist. Wer sich einen allgemeinen Eindruck verschaffen will, kann ja einfach mal ein beliebiges PDF-Heft der Reihe A aus dem letzten Jahr hernehmen (ich habe als Beispiel in 2018 A 46 geblättert) und bei den entsprechenden Sachgruppen nachsehen, wieviele davon mit Schlagwörtern und DDC erschlossen sind. 

Beschränkung auf wissenschaftliche Literatur

Wie sieht es nun bei den als "buchaffin" eingeordneten Fächern aus - bleibt zumindest da alles beim Alten? Leider nein. Vielmehr sind auch hier erhebliche Einschnitte zu erwarten. Denn für diese Fächer wird zwar für die nächsten drei bis fünf Jahre von der DNB "garantiert (...), dass sie die gedruckten Monografien der Reihe A inhaltlich wie bisher in vollem Umfang mit Schlagwörtern, DDC-Notationen und Sachgruppen intellektuell erschließt", doch gibt es dafür eine wichtige Einschränkung: "sofern es sich um wissenschaftliche Literatur handelt".

Erstaunlicherweise wird nicht definiert, was die DNB und die Initiativgruppe unter "wissenschaftlicher Literatur" verstehen. Ich habe gerade mal in Klaus Ganterts "Bibliothekarisches Grundwissen" (9. Auflage) geschaut (S. 74). Dort wird die Sachliteratur unterteilt in Sachbücher ("in allgemein verständlicher Form für einen größeren Leserkreis geschrieben"), Fachbücher (dienen "überwiegend der beruflichen Aus- oder Weiterbildung") und wissenschaftliche Literatur ("dient dem Studium und der Forschung"). Bei der wissenschaftlichen Literatur wird nochmals unterschieden in Studienliteratur ("richtet sich primär an Studierende und Examenskandidaten") und Forschungsliteratur ("richtet sich (...) überwiegend an Wissenschaftler und Spezialisten"). Hilfreich ist vielleicht noch dieser Satz: "Wissenschaftliche Literatur präsentiert die Ergebnisse der Wissenschaft in objektiver und methodisch nachprüfbarer Darstellung."

Klar ist sicher, dass der gesamte Bereich der Sachbücher von der DNB künftig nicht mehr inhaltlich erschlossen wird. Vermutlich gilt dies auch für Fachbücher im Gantertschen Verständnis. Schon hier muss ich gewaltig schlucken. Zum einen denke ich natürlich an die öffentlichen Bibliotheken, die dadurch einen erheblichen Teil der RSWK-Fremddaten verlieren werden, die sie für ihren Bestand brauchen (denn die ekz hat sich hier ja bisher voll auf die DNB-Daten verlassen). Darüber hinaus argwöhne ich, dass auch bei wissenschaftlichen Bibliotheken der Anteil der erworbenen Sach- und Fachbücher gar nicht so gering ist, wie man vielleicht meint. Bei den Regionalbibliotheken mit Pflichtexemplarrecht versteht sich dies m.E. von selbst, aber ich vermute es auch für Universitäts- und Hochschulbibliotheken. Vielleicht können PraktikerInnen dies bestätigen oder - falls ich damit falsch liege - mir meine Sorgen etwas nehmen.

Gänzlich unklar ist mir, was mit der Studienliteratur passiert. Werden z.B. Lehrbücher für Studierende auch künftig sachlich erschlossen? Oder soll ein engeres Verständnis von "wissenschaftlich" zu Grunde gelegt werden, gemäß dem nur die Forschungsliteratur berücksichtigt wird? Und was ist mit Titeln, die zwar selbst eher der Sachliteratur zuzuordnen sind, die jedoch zugleich Quellen für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit einem bestimmten Thema sind? Beim Blättern in meinem Beispielheft der Reihe A stoße ich beispielsweise in 330 Wirtschaft auf ein Buch des Grünen-Politikers Anton Hofreiter mit dem Titel Fleischfabrik Deutschland : wie die Massentierhaltung unsere Lebensgrundlagen zerstört und was wir dagegen tun können. Wissenschaftlich ist dies vermutlich nicht (auch wenn der Autor promoviert ist) - aber doch garantiert etwas, das auch von Studierenden und WissenschaftlerInnen als Quelle benötigt wird. Die Annahme, dass wissenschaftliche NutzerInnen (unabhängig davon, ob Studierende dazu gehören oder nicht) nur wissenschaftliche Literatur verwenden würden, scheint mir jedenfalls stark vereinfachend.

Ein weiteres Problem für die Praxis sehe ich darin, dass die Abgrenzung zwischen Sach-, Fach- und wissenschaftlicher Literatur - selbst wenn man sich noch auf eine Definition einigt - in vielen Fällen gar nicht so leicht zu treffen sein wird. Ich rätsele beispielsweise gerade, ob unser Lehrbuch "Basiswissen RDA" in die Kategorie Fachbuch oder Studienliteratur fällt. Eigentlich beides, da bei den Zielgruppen sowohl Auszubildende (spricht für Fachbuch) als auch Studierende (spricht für Studienliteratur) genannt sind. Aber natürlich werden darin keine "Ergebnisse der Wissenschaft" präsentiert - kann es also überhaupt wissenschaftliche Literatur sein?

Sicher werden vielfach auch unterschiedliche Personen zu unterschiedlichen Ergebnissen bei der Einordnung kommen. Da die FachreferentInnen in den Bibliotheken "draußen" aber die Neuerwerbungen fast immer auf dem Tisch haben, ehe die KollegInnen aus der DNB überhaupt über "Sacherschließung oder nicht" nachdenken, können sie letztlich nur spekulieren, ob noch eine Sacherschließung von der DNB kommen wird oder nicht. Hat man falsch geraten, führt dies entweder dazu, dass das fragliche Medium ohne Sacherschließung bleibt, oder dazu, dass unnötige Doppelarbeit geleistet wird.

Schließlich ist für mich insgesamt schwer nachzuvollziehen, weshalb die DNB nun eine wichtige Dienstleistung auf die Gruppe der (wie auch immer definierten) wissenschaftlichen NutzerInnen beschränken will. Im Gesetz über die DNB ist von einer solchen Sonderstellung jedenfalls nicht die Rede. In § 2 heißt es, die DNB habe die Aufgabe, die entsprechenden Medienwerke "im Original zu sammeln, zu inventarisieren, zu erschließen und bibliografisch zu verzeichnen, auf Dauer zu sichern und für die Allgemeinheit nutzbar zu machen sowie zentrale bibliothekarische und nationalbibliografische Dienste zu leisten". Das "für die Allgemeinheit nutzbar zu machen" schließt m.E. auch die inhaltliche Erschließung mit ein - und zwar eben nicht nur für eine spezielle Gruppe. Und den Passus mit den "zentralen bibliothekarischen und nationalbibliografischen Diensten" interpretiere ich so, dass die Services für alle Arten von Bibliotheken gelten und auch hier nicht ein bestimmter Bibliothekstyp bevorzugt werden soll.

Einstellung der maschinellen Verschlagwortung für die Reihe B

Auch bei der Reihe B ergeben sich Änderungen: Angesichts der sehr schlechten Ergebnisse bei der maschinellen Schlagwortvergabe mit der Averbis-Software (für Details verweise ich auf meinen Aufsatz Maschinelle Indexierung am Beispiel der DNB) hat man sich entschieden, diese wieder einzustellen. Ich begrüße das, da sich durch die zahlreichen falschen oder irreführenden Schlagwörter nach meiner Einschätzung mehr Schaden als Gewinn ergeben hat.

Für die Reihe H bleibt es hingegen bei der maschinellen Indexierung, "da hier der überwiegende Anteil an maschinell erzeugten Schlagwörtern als nützlich oder sehr nützlich bewertet wird (insgesamt 59 %) und der Anteil falsch vergebener Schlagwörter bei 18 % lag". Es ist sicher richtig, dass bestimmte Problembereiche in der Reihe H nicht oder nur selten auftauchen und deshalb die Ergebnisse merklich besser sind als in der Reihe B. Ob sie allerdings wirklich schon gut genug sind, erscheint mir fraglich. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Vortrag von Karen Köhn vom Berliner Bibliothekartag über den Bereich der Medizin. Hier wurden auch Indexate als Ganzes beurteilt. Wie man auf Folie 18 sieht, schneidet die Reihe H in der Tat am besten ab. Allerdings waren trotzdem noch 16 % der Erschließungen "unbrauchbar" und 40 % "mäßig". Gut genug für eine Nationalbibliothek?

Bitte diskutieren Sie!

Bisher haben die angekündigten Änderungen in der Sacherschließung der DNB wenig Aufsehen erregt - viele hatten sie vermutlich noch gar nicht wahrgenommen. Als Ort für eine Diskussion biete ich daher gerne diesen Blogbeitrag an. Ich bin sehr an der Meinung von PraktikerInnen interessiert: Wie schätzen Sie die konkreten Auswirkungen in Ihren Bibliotheken ein? Bitte nützen Sie die Kommentarfunktion. 

Heidrun Wiesenmüller

Kommentar schreiben

Kommentare: 5
  • #1

    Anna Catharina Hagner (Dienstag, 23 April 2019 07:54)

    Liebe Frau Wiesenmüller,
    vielen Dank für Ihre ausführlichen Darlegungen zur Sacherschließung, die ganz deutlich die Probleme und Konsequenzen der sehr fragwürdigen DNB-Entwicklung aufzeigen. Ich teile Ihre Ansicht voll und ganz und ich vermisse auch eine größer und lautere Diskussion in der Bibliothekswelt, was vielleicht auch daran liegt, dass Sacherschließung von vielen Einrichtung eben "nur" nachgenutzt, aber nicht oder nur eingeschränkt betrieben wird (die schwerwiegenden Auswirkungen haben Sie in ihrem Beitrag ja auch erwähnt) und m.E. die Sacherschließung immer etwas stiefmütterlich behandelt wird, gerade weil Sacherschließer eine Minorität in der Bibliothekswelt sind.

    Dass die furchtbare maschinelle Indexierung eingestellt wird, ist m.M. nach zu begrüßen. Diese war im besten Fall irrelevant, irreführend und teils redundant, im schlimmsten Falle schlichtweg falsch. Hier wurde ein unheimlicher Schaden angerichtet, der nicht nur die Nutzer verwirrt, die Datenqualität zerstört (und durch Fremddatennachnutzung sich über alle Einrichtungen ausgebreitet hat), sondern auch das Ansehen der Sacherschließung und auch DNB deutlich beschädigte.

    Was ich mich immer wieder frage, ist, ob die Deutsche Nationalbibliothek sich eigentlich bewusst ist, was sie anrichtet? Ist das Unwissenheit oder Ignoranz? Wie kann eine Nationalbibliothek, die auch im internationalen Vergleich steht, sich nur so in hausinternen Egoismus verrennen? Eine Nationalbibliothek sollte in meinen Augen nicht nur als Nationalarchiv dienen und ihre Arbeit als Selbstzweck sehen, sondern auch als Leitstern und Dienstleister der Bibliothekslandschaft im ganzen Land fungieren. Gerade in unserer Zeit, in der Bibliotheken zunehmend vernetzt und kooperativ operieren, ist die Entwicklung der DNB eine Rolle rückwärts.

    In meiner Einrichtung (UB und Landesbibliothek) werden aktuell Verlagspublikationen nicht mit verbaler Sacherschließung versehen, da die Maxime gilt, dass das durch Fremddatenübernahme von der DNB eingespielt wird und keine redundante Sacherschließung stattfinden soll, sondern eben auf Kooperation und Datennachnutzung gesetzt wird. Mit Beginn der maschinellen Indexierung bin ich persönlich dazu übergegangen, lieber alles selbst zu machen. Viele meiner Kollegen und Kolleginnen machen dies aber nicht, teilweise, weil sie den Zeitaufwand scheuen, weil sie Quereinsteiger sind und nur über rudimentäre Kenntnisse der Sacherschließungsregeln und -praxis verfügen oder schlicht und einfach, weil sie die Entwicklungen der letzten Jahre gar nicht mitbekommen haben. Nicht alle (meiner Erfahrung nach sogar die wenigsten) Fachreferenten und Fachreferentinnen sehen sich der Bibliothekscommunity verbunden und verfolgen die Entwicklung. Das sind aber nur meine ganze persönlichen Ansichten.

    Letztendlich möchte ich Ihnen noch einmal danken, dass Sie in Ihrem Blog auch Sacherschließungsthemen öffentlich und damit vielleicht auch einer breiteren Masse zugänglich und verständlich machen.

  • #2

    Regine Beckmann (Dienstag, 23 April 2019 10:24)

    Vielen Dank für den Aufschlag aus der Fachcommunity. Die kritische Aufbereitung des Übergangskonzepts der DNB und seiner Konsequenzen unterstütze ich in jedem Punkt. Mich irritieren als Mitglied verschiedener Gremien im Bereich der Erschließung zwei Aspekte an diesem Konzept bzw. an seiner Entstehung besonders:

    1. In der regionalen und überregionalen Gremienarbeit zur (Sach)Erschließung und zur Weiterentwicklung der Verfahren wird erfreulicherweise zunehmend die Nutzerperspektive, d.h. die Wirkung unserer Erschließungsleistungen, ins Zentrum unseres Tuns gestellt. Beispielhaft seien genannt die Messbarkeit etwa an den IFLA LRM user tasks, die zunehmende Vernetzung und Internationalisierung und der formulierte Anspruch, gleiche Maßstäbe an die Erschließung gleicher Inhalte anzulegen. Quantitative Lücken und methodische Brüche in der thematischen Aufbereitung sind zu überwinden oder zumindest sukzessive zu minimieren, um die Retrievalergebnisse verlässlicher, transparenter und erwartbarer zu machen. Diesen Anspruch hatte auch die DNB in ihrem letzten Konzept vom Herbst 2017 formuliert. Damals sollte vor allem der methodische Bruch in den Erschließungsverfahren zwischen gedruckten und elektronischen Medien überwunden werden. Er führt zu willkürlich unterschiedlichen Retrievalergebnissen für gleiche Inhalte, denn inhaltlich ist es nicht entscheidend, in welcher Form ein Medienwerk publiziert wird. Dieses Ziel hat sicher niemand angezweifelt, die große Kritik bezog sich seinerzeit lediglich auf die Ergebnisse der Verfahren. Das zukünftige Konzept ist viel kleinteiliger als alle bisher veröffentlichten. Durch die, wie Heidrun Wiesenmüller anschaulich beschreibt, schwer zu defininierenden Kriterien bezüglich der Wissenschaftlichkeit und der Zielgruppen ist die zukünftige Sacherschließungsleistung der DNB nicht nur für die Bibliotheken als Abnehmerinnen von Fremddaten kaum mehr vorhersehbar, sondern vor allem auch auf der Seite der Nutzerinnen und Nutzer. Wir entfernen uns immer weiter von dem Anspruch transparenter, verlässlicher und nachhaltiger Retrievalergebnisse. Das führt mich zum zweiten Punkt:

    2. Das Konzept ist in Abstimmung mit der erwähnten Initiativgruppe und dem Standardisierungsausschuss entstanden. Es waren also auf dem Weg zu den immer wieder angemahnten besseren Kooperationsmodellen erfreulicherweise die Vertreterinnen und Vertreter der Bibliotheksverbünde und verschiedener anderer gewichtiger Institutionen beteiligt. Auf die Qualität der Kataloge und Discoverysysteme dieser dort vertretenen Verbünde, der öffentlichen Bibliotheken und der großen Staatsbibliotheken hat das Übergangskonzept unmittelbaren Einfluss. Ebenso wie auf die Ressourcenplanung der einzelnen Bibliotheken, denn hier kommt wie beschrieben unkalkulierbare Mehrarbeit auf sie zu.
    Sind diese wichtigen Fragen, die aus dem Übgergangskonzept resultieren, die meiner Ansicht nach auf der Hand liegen und die im Blogbeitrag aufbereitet werden, dort gar nicht skeptisch diskutiert worden? Konnte die Definition von "wissenschaftlich", von "buchaffin" und von den anderen schwer zu fassenden Kriterien in den Diskussionen so eindeutig und zweifelsfrei gefasst werden, dass dem Konzept mit Blick auf die Konsequenzen bedenkenlos zugestimmt werden konnte?

  • #3

    MFM (Dienstag, 23 April 2019 16:24)

    Vielen Dank an Heidrun Wiesenmüller für den Anstoß der Diskussion.

    Das Konzept der Buchaffinität ist in meinen Augen nicht überzeugend und wirft Fragen auf: Sind damit gedruckte Medien gemeint oder impliziert die Buchaffinität auch eBooks? Auch letztere bedürfen der Auffindbarkeit: Studierendenzahlen der Naturwissenschaft und Mathematik sind nicht zu vernachlässigen. Besucht man z.B. Springer Link und macht einen Drill Down auf "Books" und "Artificial Intelligence" werden über 6000 Titel gelistet (230 in deutscher Sprache). Das Konzept der Buchaffinität könnte m.E. schnell an Hand von Zugriffsstatistiken in Frage gestellt werden.

    In Zeiten, in denen die Erkenntnisse der exakten Wissenschaften in manchen Gesellschaftskreisen in Frage gestellt werden, ist es doch umso wichtiger diese gleichwertig neben die Geistes- und Sozialwissenschaften zu stellen und für eine entsprechende inhaltliche Erschließung zu sorgen.

  • #4

    JGE (Donnerstag, 02 Mai 2019 12:33)

    Liebe Frau Wiesenmüller,

    unabhängig von der sehr bedauerlichen Entscheidung der DNB, in vielen Fällen keine intellektuelle Sacherschließung mehr zu leisten, fällt eine weitere Funktion der DNB weg: denn dass die Bibliotheken sich auf deren Erschließung verlassen haben, beruht doch auf der Tatsache, dass die Sacherschließungsdaten in die Verbundkataloge nachgeliefert wurden, sofern die bereits vorher genutzten Titeldaten die Referenznummer der DNB enthielten. Die DNB hat also die einzige Infrastruktur zum ständigen Teilen von Sacherschließungsdaten bereitgehalten. Wenn nun sich die übrigen Bibliotheken entschließen würden -- was ich nicht glaube --, die Sacherschließung durch Eigenleistung vorzunehmen, hätten sie doch kein Instrument, ihre Ergebnisse deutschlandweit zu teilen: die Schlagwörter blieben im jeweiligen Verbund.

  • #5

    MFM (Freitag, 03 Mai 2019 09:33)

    Ja, das ist sehr bedauerlich, zumindest wurde somit die Literatur, die im deutschsprachigen Raum erscheint, verlässlich mit Sacherschließungsdaten versorgt.

    Der Datentausch zwischen den Verbünden funktioniert m.W. auch über Nachführungsroutinen mit Verbund-Referenznummern, jedoch anders bzw. nur im Fall von Fremddatenübernahmen zwischen Verbund A und B. Eine inhaltliche Erschließung in Verbund C kommt m.W. dann wegen Fehlens der Verbundreferenznummer nicht an.

    Ggf. kann das mit dem culturegraph-Projekt in den Griff bekommen werden, wobei m.W. (Stand 2018) das Werkclustering in einigen Fällen noch nicht verlässlich funktioniert. Ein Update bzgl. des Voranschreitens des culturegraph-Projektes wäre zu diesem Zeitpunkt um so wichtiger.

    Auch wenn culturegraph an sich ein guter Weg ist, fehlt hier m.W. zur Zeit komplett die Qualitätssicherung. Verbünde, die ggf. ihr Daten gerade aufräumen und qualitätssicherenden Massnahmen unterziehen, holen sich ggf. wieder weniger qualitative Daten via culturegraph. Eine Verteilung der inhaltlichen Metadaten an das gesamte Werkcluster macht in meinen Augen vor allem dann Sinn, wenn die Daten bereinigt und verbessert werden - beispielsweise die Anreicherung von Identifiern bei der Erschließung mit Library of Congress Subject Headings (LCSH). Das wird m.W. aber den jeweiligen Verbünden überlassen.

    Ein anderes generelles Problem beim Tausch der Daten zwischen den Verbünden entsteht durch die unterschiedliche Handhabe der Importkonverter, der internen Datenformate und Exportkonverter. Ich sehe sehr häufig korrekte Daten nach LCSH in Verbund A, die dann über die Verbundschnittstellen in unterschiedlichsten Varianten in Verbund B oder C auftauchen und zwar so, dass sie nicht mehr als LCSH ausgezeichnet sind.

    Dass der Datentausch zwischen den Verbünden nicht zufriedenstellend funktioniert, führt in meinen Augen auch dann dazu, dass z.B. Programme wie der Digitale Assistent derzeit so hoch im Kurs stehen. Letztlich ist das ein Grund, wieso z.B. bei der Entwicklung des Digitalen Assistenten viel Energie in die Aggregation von Verbunddaten geht und weniger in die Entwicklung von Funktionalitäten zur inhaltlichen Erschließung gänzlich unerschlossener Titel.

    M.E. liegt insofern ein systemisches (sicher seit Jahren bekanntes) Problem vor, das durch den Weg der DNB verschärft wird. Insofern ist es sehr interessant, ob und inwiefern dieses Thema auch Gegenstand der Diskussion der "Initiativgruppe kooperative Inhaltserschließung" des STA war.