Geistiger Schöpfer bei Festschriften für Körperschaften

Am 22. und 23. November fand die 25. und zugleich letzte Sitzung der AG RDA statt. Denn im kommenden Jahr werden die Expertengruppen "neu geordnet" sein; zuständig ist dann die neue Fachgruppe Erschließung. Auch auf der letzten Sitzung haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer selbstverständlich fleißig gearbeitet.

Gruppenbild von der letzten Sitzung der AG RDA (Foto: DNB, Stephan Jockel)
Gruppenbild von der letzten Sitzung der AG RDA (Foto: DNB, Stephan Jockel)

Auf unserer Tagesordnung stand auch ein Punkt zu Festschriften für Körperschaften. Dazu hatte die Themengruppe "Körperschaften als geistige Schöpfer" einen Vorschlag eingebracht. Dieser fand die Zustimmung der AG RDA; entsprechend wird die D-A-CH-Erläuterung bei 19.2.1.1.1 an einer Stelle etwas umformuliert werden. Die bisherige Fassung (unter "Schritt 2", dort bei "a. Administratives Werk über die Körperschaft") lautet:

"Bei Festschriften sind veranlassende oder herausgebende Körperschaften nur in seltenen Fällen als geistige Schöpfer zu betrachten. Denn diese Werke bestehen zumeist überwiegend aus Texten, die nicht unter die drei Gruppen von Aspekten fallen (beispielsweise aus Beiträgen zur Geschichte der Körperschaft). Erfassen Sie in den seltenen Fällen, in denen die gefeierte Körperschaft geistiger Schöpfer ist, als zweite Beziehungskennzeichnung "Gefeierter"."

In der Praxis zeigte sich jedoch, dass es gar nicht so wenige Festschriften sind, deren (überwiegender) Inhalt über die Ressourcen, Personal und Aktivitäten der gefeierten Körperschaft berichtet, sodass die Körperschaft als geistiger Schöpfer anzusehen ist - die Formulierung "in seltenen Fällen" erschien deshalb nicht mehr wirklich treffend. Insbesondere Pflichtexemplarbibliotheken dürften regelmäßig mit entsprechenden Fällen konfrontiert sein. So wurden mir aus meiner früheren Bibliothek, der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart, einige sehr eindeutige Beispiele vorgelegt.

Gerade bei Jubiläen von Sportvereinen, Schulen o.ä. besteht der Inhalt oft zum allergrößten Teil aus chronologischen Listen von verantwortlichen Personen, Fotos von Mannschaften oder Schulklassen, einer Vorstellung der unterschiedlichen Bereiche (z.B. der Abteilungen in einem Sportverein) und einer chronikartigen Darstellung der Aktivitäten. Letzteres sieht typischerweise nicht viel anders aus als bei Jahresberichten - nur eben nicht auf ein einziges Jahr bezogen, sondern auf einen größeren Zeitraum. Hier ein kleiner Ausschnitt aus der jahresweisen Chronik in der Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum des KTSV Hösslinswart (Titelaufnahme im SWB):

"2011

Am 15.1. findet die 2. Kulturveranstaltung mit Werner Kocwara in unserer neuen Halle statt. Die Vorstellung ist ausverkauft und wird ein voller Erfolg.

(...)

Unsere Schützen werden Meister in der Kleinkaliber-Bezirksliga mit einer Klassenleistung von 844 Ringen.

(...)

Für die 100-Jahr-Feier wird das Schützenhaus und das Tennisvereinsheim neu gestrichen, so dass nunmehr alle Gebäude farblich gleich sind."

In solchen Fällen liegt eindeutig ein administratives Werk über die Körperschaft vor. In der Regel ist auch die Voraussetzung erfüllt (das Werk stammt von der Körperschaft), sodass diese als geistiger Schöpfer zu betrachten ist. Derartige Publikationen werden meist als "graue Literatur" von der Körperschaft selbst veröffentlicht, haben in der Regel einen überschaubaren Umfang (teilweise sind es eher Broschüren) und werden nur in kleinen Auflagen gedruckt.

Davon zu unterscheiden ist ein anderer Typus von Festschriften für Körperschaften. Entsprechende Publikationen erscheinen oft in einem kommerziellen Verlag, haben einen gewissen wissenschaftlichen Anspruch und enthalten richtige "Aufsätze" (im Sinne von Abhandlungen). Diese behandeln oft nicht nur die Geschichte der Körperschaft selbst, sondern auch ihr engeres oder weiteres Umfeld. Viele der Beiträge in einer solchen Festschrift könnten ohne weiteres auch separat oder in einem ganz anderen Kontext publiziert werden, z.B. in einer Fachzeitschrift.

Ein sehr klares Beispiel dafür ist die Festschrift "100 Jahre Deutsche Röntgengesellschaft" (Titelaufnahme mit Link zum Inhaltsverzeichnis bei der DNB). Nur die wenigsten Aufsätze darin behandeln überhaupt die Deutsche Röntgengesellschaft; die meisten thematisieren Aspekte aus der Geschichte der Radiologie. Auch die Festschrift zum 100jährigen Bestehen des VDB (Titelaufnahme mit Link zum Inhaltsverzeichnis bei der DNB) fällt m.E. unter diesen Typus. In solchen Fällen liegt kein administratives Werk vor; entsprechend ist die gefeierte Körperschaft nicht geistiger Schöpfer. Wir haben es vielmehr mit Zusammenstellungen von Aufsätzen zu tun.

Die Themengruppe hat die Problematik intensiv geprüft und daraufhin eine geänderte Formulierung für die oben zitierte Passage in RDA 19.2.1.1.1 D-A-CH entworfen. Zum einen ist das "selten" entfallen, zum anderen haben wir uns bemüht, etwas genauer zu erklären, wann die Körperschaft geistiger Schöpfer ist und wann nicht:

"Bei Festschriften für eine Körperschaft muss im Einzelfall - nach dem Inhalt - geprüft werden, ob die veranlassende oder herausgebende Körperschaft als geistiger Schöpfer zu betrachten ist oder nicht. Handelt es sich z.B. überwiegend um Aufsätze zur Geschichte der Körperschaft oder zu Themen aus den Tätigkeitsfeldern der Körperschaft, so ist die Körperschaft nicht geistiger Schöpfer. Sind jedoch überwiegend Texte enthalten, die unter die drei Gruppen von Aspekten fallen (z.B. Listen von Funktionsträgern, Mitgliedern etc.; Darstellung der aktuellen Aktivitäten; Chronologie der Aktivitäten der Körperschaft; Bibliografie von Publikationen der Körperschaft"), so ist die Körperschaft geistiger Schöpfer. Im Zweifelsfall wird die Körperschaft nicht als geistiger Schöpfer betrachtet. Erfassen Sie in den Fällen, in denen die gefeierte Körperschaft geistiger Schöpfer ist, als zweite Beziehungskennzeichnung "Gefeierter"."

Im Lehrbuch hatten wir das übrigens ähnlich dargestellt (S. 134f.):

"Imagebroschüren u. ä. sind Grenzfälle, bei denen die Entscheidung anhand des konkreten Inhalts getroffen werden muss. Dies gilt auch bei Festschriften für eine Körperschaft, welche typischerweise zu einem runden Jubiläum der Körperschaft erscheinen (vgl. Kap. 9.4.2). Das in 9-18 gezeigte Beispiel enthält u. a. Beiträge über die Bibliothek und die medizinhistorische Sammlung des Instituts, ein vollständiges Personalverzeichnis sowie eine Bibliografie der am Institut entstandenen Dissertationen und Forschungsarbeiten. Es berichtet also über Ressourcen, Personal und Aktivitäten, weshalb die Körperschaft als geistiger Schöpfer anzusehen ist. Der Inhalt von 9-19 hingegen besteht aus einer rein historischen Darstellung über den Ort Frickingen; die Gebietskörperschaft gilt folglich nicht als geistiger Schöpfer."

Mit dem zitierten Beispiel ("100 Jahre Karl-Sudhoff-Institut", vgl. Lösung 13-23 im Lehrbuch) bin ich allerdings nicht mehr so richtig glücklich, weil es nicht wirklich eindeutig ist. Wenn ich vor dem Hintergrund der neuen Erkenntnisse kritisch auf das Inhaltsverzeichnis schaue (Titelaufnahme mit Link zum Inhaltsverzeichnis bei der DNB), dann komme ich zu folgendem Ergebnis:

  • Der erste Teil (bis einschließlich zum Aufsatz "Deutsch-russische Beziehungen ...") fällt nicht unter die Aspekte, die für ein administratives Werk charakteristisch sind, und hat einen klaren "Aufsatzcharakter".
  • Beim zweiten Teil (die Beiträge zur Bibliothek und zur medizinhistorischen Sammlung) ist es unsicher: Inhaltlich würde es zwar passen, aber vermutlich handelt es sich eher um eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema als um das, was man unter "administrativ" sehen würde.
  • Der dritte Teil (ab dem Personalverzeichnis) fällt definitiv unter die Aspekte, die zum administrativen Werk gehören.

Hier liegt also ein Zweifelsfall vor. Gemäß der Zweifelsfallregelung in der neuen Formulierung des D-A-CHs würde ich deshalb die Körperschaft nicht mehr als geistigen Schöpfer erfassen. In der 2. Auflage des Lehrbuchs werden wir dieses Beispiel gegen ein eindeutigeres austauschen.

Die neue Formulierung des D-A-CHs wird im Februar 2017 ins RDA Toolkit kommen, und erst danach kann auch die Schulungsunterlage angepasst werden. Aber da es sich nur um die Präzisierung einer bestehenden Erläuterung handelt, spricht sicher nichts dagegen, schon jetzt gemäß der neuen Fassung zu verfahren. Sie müssen also nicht mehr ganz so zurückhaltend sein wie bisher, wenn es um Körperschaften als geistige Schöpfer von Festschriften geht. Auch das oben zitierte Beispiel des KTSV Hösslinswart darf nun ohne Bedenken geändert werden (bisher ist die Körperschaft nicht als geistiger Schöpfer erfasst). Ich glaube, viele Katalogisiererinnen und Katalogisierer werden dies als eine Verbesserung empfinden.

Heidrun Wiesenmüller

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