Ausnahmeregel für Infoquellen bei Bewegtbildressourcen

Einige D-A-CH-"Highlights" aus dem Februar-Release 2016 sind es wert, in eigenen Blog-Beiträgen behandelt zu werden. Eins davon betrifft die Regel für die bevorzugte Informationsquelle bei Bewegtbildressurcen wie Filmen oder Videospielen auf DVD o.ä. (RDA 2.2.2.3). Nach der Grundregel wäre der Titelbildschirm zu verwenden, d.h. man müsste den Film, das Spiel etc. einlegen und abspielen. Da dies wenig praktikabel ist, nutzen wir stattdessen die Alternativregel und verwenden ein auf der Ressource selbst (z.B. dem Silberling) fest angebrachtes Etikett, Aufdruck o.ä. Nur wenn kein fest angebrachtes Label mit einem Titel existiert, wird gemäß RDA 2.2.2.3.1 b) das Behältnis verwendet.

Screenshot aus dem RDA Toolkit (www.rdatoolkit.org), verwendet mit Genehmigung der RDA-Verleger (American Library Association, Canadian Library Association und CILIP)
Screenshot aus dem RDA Toolkit (www.rdatoolkit.org), verwendet mit Genehmigung der RDA-Verleger (American Library Association, Canadian Library Association und CILIP)

Als ich diese Regel im vergangenen Jahr auf einigen ÖB-Schulungen erläuterte, erhob sich großer Protest: Die KollegInnen wiesen darauf hin, dass bei Filmen, Konsolenspielen u.ä. auf dem Silberling öfter nur der Originaltitel steht; der deutsche Titel ist dann nur auf dem Behältnis zu finden. Im Folgenden ein Beispiel dafür: Auf der Scheibe steht "Hansel & Gretel witch hunters", auf der Vorderseite des Behältnisses hingegen "Hänsel & Gretel Hexenjäger".

Aufdruck auf der Scheibe ...
Aufdruck auf der Scheibe ...
... und auf dem Behältnis
... und auf dem Behältnis

Der Hintergrund ist vermutlich ein rein praktischer: Befinden sich auf der Scheibe mehrere Sprachfassungen, kann man sie problemlos in mehreren Ländern verkaufen. Da die Hersteller den Aufdruck auf der Scheibe als nicht wichtig erachten, sparen sie sich den Zusatzaufwand, unterschiedliche Aufdrucke dafür zu produzieren. Den für den jeweiligen Markt passenden Titel geben sie nur auf dem Behältnis an.

Nach dem bisherigen Stand hätte man den englischen Titel als Haupttitel erfassen müssen. Dabei liegt ganz klar eine auf den deutschen Markt ausgerichtete Manifestation vor, die unter dem deutschen Titel wahrgenommen werden soll. Es liegt auf der Hand, dass dies eine wenig benutzerfreundliche Praxis wäre.

Die AG RDA hat das Problem deshalb auf ihrer Novembersitzung diskutiert und eine Ausnahmregel beschlossen. Dafür wurde das D-A-CH bei RDA 2.2.2.3 um den folgenden Aspekt erweitert: Ist das Label "offensichtlich nicht als bevorzugte Informationsquelle geeignet", so verwendet man stattdessen das Behältnis. Im RDA-Info-Wiki ist der neue, ab Februar 2016 gültige Text bereits veröffentlicht:

Ausschnitt aus der im RDA-Info-Wiki veröffentlichten Fassung der D-A-CH vom Februar 2016
Ausschnitt aus der im RDA-Info-Wiki veröffentlichten Fassung der D-A-CH vom Februar 2016

Außerdem ist geplant, ein Proposal oder Discussion paper einzubringen, um das Thema auf der internationalen Ebene zu diskutieren. Denn es ist doch sehr fraglich, ob RDA an dieser Stelle seinem eigenen Anspruch gerecht wird: "Die Daten, die eine Ressource beschreiben, sollten widerspiegeln, wie sich die Ressource selbst darstellt" (RDA 0.4.3.4). Sowohl die Hersteller als auch die Benutzer betrachten aber, wie es scheint, in solchen und ähnlichen Fällen eben nicht den Aufdruck auf der Ressource selbst als wichtigste Informationquelle, sondern das Behältnis. Entsprechend müsste sich auch die Beschreibung daran orientieren (wie wir es auch von RAK-NBM her gewohnt sind).

Vielleicht hat dies auch damit zu tun, dass derartige Produkte meist eingeschweißt sind, wenn man sie käuflich erwirbt - im Laden kann man sich also den Datenträger selbst gar nicht anschauen. Aber ich wüsste auch nicht, warum man das überhaupt tun sollte, denn die Angaben auf der Scheibe sind ja in der Regel ganz knapp. Wenn man etwas über die Ressource wissen will, muss man wirklich das Behältnis und ggf. das Begleitmaterial studieren. Die Situation ist daher auch nicht vergleichbar mit einem gedruckten Buch: Dort wird zu Recht die Titelseite, auf der man die umfassendsten Informationen vorfindet, als bevorzugte Informationsquelle angesehen und nicht das Cover.

Sehr nützlich wäre es, wenn man grundsätzlich das Behältnis als bevorzugte Informationsquelle verwenden könnte. Ein denkbarer Weg wäre, den Text der Alternative bei RDA 2.2.2.3 folgendermaßen zu erweitern:

Use in preference to the title frame or frames, or title screen or screens

a)      either a label with a title that is permanently printed on or affixed to the resource

b)      or, a container issued with the resource

Eine ähnliche Regelung wäre z.B. für Audio-CDs sinnvoll, sodass auch RDA 2.2.2.4.1 angepasst werden müsste. Ich bin schon sehr gespannt, ob wir mit diesen Vorschlägen beim RSC Erfolg haben werden!

Heidrun Wiesenmüller

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