Drei Minuten RDA: Beziehungen zu Familien

Familien kamen in unserer bisherigen Erschließung nur als Themen - also im Bereich der Sacherschließung - vor: Beispielsweise wurden Bücher über die Fugger mit dem RSWK-Schlagwort "p.Fugger <Familie>" versehen. In RDA hingegen scheinen Familien allgegenwärtig: Eine Suche nach "Familie" im Regelwerk ergibt 261 Treffer, und immer wieder liest man die Formulierung "eine Person, eine Familie oder eine Körperschaft". FRBR kannte diese 'Dreifaltigkeit' noch nicht und beschränkte sich bei den Entitäten der Gruppe 2 auf Personen und Körperschaften. Die Entität "Familie" wurde erst in den Functional Requirements for Authority Records (FRAD) eingeführt und von dort nach RDA übernommen.

Screenshot aus dem RDA Toolkit mit der Definition von Familie
Screenshot aus dem RDA Toolkit (www.rdatoolkit.org), verwendet mit Genehmigung der RDA-Verleger (American Library Association, Canadian Library Association und CILIP)

Die Definition für Familie ist sehr breit: "mehrere Personen, die durch Geburt, Heirat, Adoption, eingetragene Lebenspartnerschaft oder einen ähnlichen Rechtsstatus miteinander in Beziehung stehen oder die sich auf andere Weise als Familie präsentieren". Im englischen Originaltext wird deutlicher als in der derzeitigen deutschen Übersetzung, dass bereits zwei Personen eine Familie sein können ("two or more persons").

Familien können in denselben Funktionen vorkommen wie Personen und Körperschaften, also auch als geistige Schöpfer oder Mitwirkende. Entsprechend können die Beziehungskennzeichnungen in Anhang I in den meisten Fällen auch für Familien verwendet werden.

Aber wann hat man es nun in der Praxis tatsächlich mit Familien zu tun? Am ehesten sind sie im Archivbereich relevant, z.B. bei Sammlungen von Fotos, Briefen oder familiengeschichtlichen Dokumenten einer Familie. Es gibt aber auch Fälle bei normalen Bibliotheksmaterialien, z.B. Familienzeitschriften oder Kochbücher mit Familienrezepten. Und im Internet findet man häufig Websites oder Blogs von Familien.

Angesichts der breiten Definition von Familie schien es uns in der AG RDA wichtig, klar festzulegen, wann eine Beziehung zu einer Familie hergestellt werden soll und wann nicht. Nachzulesen ist dies im D-A-CH zu 19.2.1.1. Dieses beschäftigt sich zunächst mit Familien als geistigen Schöpfern, ist aber entsprechend auch für andere Beziehungen anzuwenden (vgl. Absatz 4).

Screenshot mit der Erläuterung zur Verwendung der Entität Familie (RDA 19.2.1.1 D-A-CH)
Screenshot aus dem RDA Toolkit (www.rdatoolkit.org), verwendet mit Genehmigung der RDA-Verleger (American Library Association, Canadian Library Association und CILIP)

Bleiben wir bei einer Familie als geistiger Schöpfer: Es genügt nicht, dass mehrere miteinander verwandte oder verheiratete Personen das Werk geschaffen haben (z.B. "von Walter und Inge Jens") - wichtig ist, dass es durch entsprechende Formulierungen auch tatsächlich als Werk einer Familie präsentiert wird und nicht als Werk von Individuen. Typischerweise kommt - wie in den Beispielen in der Erläuterung - das Wort "Familie" vor.

Und wie ist das nun mit den "Brüdern Grimm"? Dieses Beispiel haben wir in der AG RDA länger diskutiert. Nachdem die Verwandtschaft zwischen den beiden hier ganz explizit gemacht wird, liegt es zunächst nahe, von einer Familie auszugehen. Die Formulierung drückt aber doch etwas anderes aus: Es ist eine Kurzform, mit der zwei genau definierte Mitglieder der Familie Grimm benannt werden - eben Jacob und Wilhelm. Deshalb sollte man hier keine Beziehung zur Familien-Entität anlegen, sondern stattdessen einzelne Beziehungen zu Jacob Grimm und Wilhelm Grimm.

Die Verknüpfung mit der Familie wäre wenig aussagekräftig und würde auch am Kern der Sache vorbeigehen, denn die Märchen werden ja nicht mit der gesamten Familie Grimm assoziiert. Außerdem würden die Werke von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm dann sozusagen aufgesplittet werden - die gemeinsamen wären nicht mit den Normdatensätzen der beiden Personen verknüpft, sondern mit dem Normdatensatz für die Familie. Schließlich kann man sich auch gut vorstellen, dass bei manchen Ausgaben der Kinder- und Hausmärchen "Brüder Grimm" in der Verantwortlichkeitsangabe steht, bei anderen aber "Jacob und Wilhelm Grimm" - sollte man dann die einen mit der Familien-Entität verknüpfen und die anderen mit den beiden Personen?

Es mag weitere Fälle geben, die einem Kopfzerbrechen bereiten können. Deshalb gibt es in der Erläuterung (in guter alter RAK-Tradition) auch eine Zweifelsfallregelung: "Im Zweifelsfall nehmen Sie keine Familien-Entität an". Ich hoffe, dass sich die D-A-CH-Erläuterung in der Praxis bewähren wird.

Heidrun Wiesenmüller

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