Drei Minuten RDA: Pseudonyme

Ein Bereich, in dem RDA deutliche Neuerungen mit sich bringt, sind die Pseudonyme. Das Thema wurde zwar schon in der ersten Phase des RDA-Umstiegs geschult, aber ich denke, es schadet nichts, sich hier noch einmal Gedanken darüber zu machen. In der RAK-Welt waren wir es gewöhnt, für jede reale Person nur einen einzigen Normdatensatz anzulegen, auch wenn diese ein Pseudonym besitzt. Nach bestimmten Regeln wurde entschieden, ob der wirkliche Name oder das Pseudonym als Ansetzungsform zu verwenden war; der jeweils andere Name wurde als Verweisungsform erfasst. RDA hat hier eine ganz andere Sicht, weil es "Person" auf eine für uns ungewohnte Weise definiert (RDA 8.1.2): 

Screenshot aus dem RDA Toolkit: "Der Terminus Person bezieht sich auf ein Individuum oder eine Identität, die sich ein Individuum gegeben hat (entweder alleine oder in Gemeinschaft mit einem Individuum oder mehreren anderen)."
Screenshot aus dem RDA Toolkit (www.rdatoolkit.org), verwendet mit Genehmigung der RDA-Verleger (American Library Association, Canadian Library Association und CILIP)

"Person" meint also nicht zwingend einen real existierenden Menschen, sondern kann auch für eine Identität stehen, unter der eine Person auftritt (bzw. unter der mehrere Personen auftreten). Vor diesem Hintergrund lässt sich gut nachvollziehen, dass man bei Trägern von Pseudonymen zwei Fälle unterscheiden muss (RDA 9.2.2.8 mit D-A-CH).

Zum einen gibt es AutorInnen, die ausschließlich unter ihrem Pseudonym publizieren. Entsprechend haben diese im "bibliografischen Universum" auch nur eine einzige Identität (dass sie im echten Leben unter ihrem wirklichen Namen agieren, tut hier nichts zur Sache). Sie erhalten also nur einen einzigen Normdatensatz - mit dem Pseudonym als bevorzugtem Namen. Ist der wirkliche Name bekannt, so wird er als abweichender Name erfasst. 

Zum anderen gibt es AutorInnen, die mehrere bibliografische Identitäten pflegen: Sie publizieren sowohl unter ihrem wirklichen Namen als auch unter einem Pseudonym (bzw. mehreren Pseudonymen). Oder sie publizieren zwar nie unter ihrem wirklichen Namen, aber unter mindestens zwei Pseudonymen. Dann wird für jede Identität ein eigener Normdatensatz angelegt. Beim Katalogisieren verwendet man stets den passenden Normdatensatz - je nachdem, unter welcher Identität der Autor oder die Autorin gerade auftritt.

Eine amerikanische Autorin schreibt beispielsweise unter ihrem wirklichen Namen Dawn Cook sogenannte "high fantasy" und unter ihrem Pseudonym Kim Harrison sogenannte "urban fantasy". Erst seit 2009 weiß man, dass sich hinter beiden Namen derselbe Mensch verbirgt. Interessanterweise gibt es bis auf den heutigen Tag zwei getrennte Homepages - eine für Dawn Cook und eine für Kim Harrison.

Wichtig ist nun, sich klar zu machen, dass es im Normdatensatz für Dawn Cook keinen abweichenden Namen "Harrison, Kim" gibt - und entsprechend im Normdatensatz für Kim Harrison keinen abweichenden Namen "Cook, Dawn". Stattdessen wird zwischen den beiden Identitäten eine Beziehung hergestellt, d.h. die Normdatensätze werden miteinander verlinkt.

Dummerweise haben manche Personen sehr viele Pseudonyme. Kurt Tucholsky beispielsweise schrieb auch unter den Namen Paulus Bünzly, Kaspar Hauser, Theobald Körner, Theobald Tiger, Peter Panter, Ignaz Wrobel und Old Shatterhand. Theoretisch müsste man jeden dieser Normdatensätze mit allen anderen aus dem Set verlinken, was ziemlich aufwendig wäre. In der amerikanischen und auch der deutschen Praxis wird deshalb in einem solchen Fall eine Basis-Identität ("basic heading") bestimmt - dies sollte die bekannteste Identität sein. Die übrigen Datensätze werden nur mit dieser Basis-Identität verknüpft. In der Sacherschließung wird übrigens grundsätzlich nur die Basis-Identität als Schlagwort verwendet.

Über Namen haben wir gesprochen. Aber was ist mit den anderen Merkmalen der Person? Soll man beispielsweise den Geburtsort und den Beruf der echten Person auch im Normdatensatz für das Pseudonym eintragen? Aus pragmatischen Gründen ist es sinnvoll, die Lebensdaten des echten Menschen auch bei seinen Pseudonymen zu führen, nicht aber andere biografische Angaben wie Orte und Berufe. In manchen Fällen hat das Pseudonym auch eine eigene (fiktive) Biografie; dann sollten natürlich diese Angaben im Normdatensatz für das Pseudonym erfasst werden.

Über Sinn und Unsinn der Aufspaltung in mehrere Normdatensätze kann man geteilter Meinung sein. Ein Vorteil ist sicher, dass man gezielt nach Werken suchen kann, die unter einer bestimmten Identität veröffentlicht wurden - ohne die Werke der anderen Identität(en) als Ballast zu bekommen. Dies ist vor allem dann nützlich, wenn die Identitäten für sehr unterschiedliche Arten von Literatur stehen. Beispielsweise schrieb Charles Lutwidge Dodgson unter seinem wirklichen Namen mathematische Fachliteratur, während er für die Kinderbücher das Pseudonym Lewis Carroll benutzte. Bei getrennten Normdatensätzen kann man sich leicht alle mathematischen Schriften im Katalog anzeigen lassen, ohne sich erst durch unzählige Ausgaben der Alice-Bücher arbeiten zu müssen.  

Auf der anderen Seite besteht jedoch durch die Differenzierung die Gefahr, dass Nutzerinnen und Nutzer Dinge nicht wahrnehmen, die für sie interessant sein könnten: Wer Dawn Cook gut findet, dem könnten doch auch die Romane von Kim Harrison gefallen (und umgekehrt). In unseren Katalogen gibt es aber derzeit entweder gar keine oder nur sehr gut versteckte Hinweise auf verknüpfte Identitäten. Welcher normale Mensch käme schon auf die Idee, sich den Normdatensatz eines Autors anzeigen zu lassen (was nicht einmal in allen Katalogen möglich ist), um dort nach einer etwaigen weiteren Identität zu fahnden und dann deren Titel aufzurufen?

Da wäre es schon besser, wenn stattdessen am Bildschirm eine automatisch generierte Meldung käme, z.B.:  

"Cook, Dawn" verwendet auch den Namen "Harrison, Kim".

Wollen Sie auch die Titel von "Harrison, Kim" sehen?

Eine interessante (und schwierige) Frage ist außerdem, was mit den Altdaten geschehen soll. Bisher gibt es dazu nur wenige Aussagen (in der Erfassungshilfe EH-P-06 auf der letzten Seite). Hier wird offenbar von einer rein manuellen Bearbeitung ausgegangen. Ich stimme zu, dass die Aufspaltung bestehender Normdatensätze nur intellektuell geschehen kann. Aber ich könnte mir vorstellen, dass der zweite Schritt - die Zuordnung der Titel zum jeweils passenden Normdatensatz - durch automatische Methoden zumindest unterstützt werden könnte. Eine ganz grobe Ideen-Skizze dazu gibt es in meinem Vortrag Der RDA-Umstieg in Deutschland: Herausforderung für das Metadatenmanagement (Folien 32-36; vgl. dazu auch den entsprechenden Blogbeitrag). 

In der Praxis wird beim Umgang mit Pseudonymen vermutlich noch manche Frage auftauchen (oder ist vielleicht schon aufgetaucht). Was macht man etwa, wenn Ausgaben desselben Werks teils unter dem wirklichen Namen und teils unter dem Pseudonym erscheinen? Und was ist, wenn beide Namen genannt sind (z.B. "Stephen King schreibt als Richard Bachmann")? Und wenn jemand zwei Pseudonyme verwendet, aber niemals seinen wirklichen Namen - wird der wirkliche Name dann in beiden Normdatensätzen als abweichender Name erfasst? Ich bin jedenfalls gespannt, wie wir im Katalogisierungsalltag mit den getrennten bibliografischen Identitäten zurechtkommen werden. 

Nachtrag vom 24.07.2015: Zu diesem Thema gibt es ein Update; vgl. dazu den Blog-Beitrag Aufsatz zu Altdaten - zugleich Update von "Drei Minuten RDA: Pseudonyme".

Heidrun Wiesenmüller

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Kommentare: 7
  • #1

    Peter Bredthauer (Freitag, 20 Februar 2015 10:24)

    Die größte Herausforderung stellt meiner Ansicht nach die intellektuelle Nacharbeit bzgl. der Splits in den einzelnen Verbünden dar (Zuordnung der Titeldaten zu den jeweiligen Entitäten). Das jedoch ist der springende Punkt, um dem Nutzer differenzierte Sucheinstiege über unsere Kataloge (und andere Rechercheinstrumente) zu bieten. Die Möglichkeiten der gezielten Suche nach Publikationen EINER bestimmten Person sind leider immer noch sehr unterschiedlich stark ausgeprägt, abhängig vom jeweiligen (Lokal)-System. Homogenität zumindest in unseren bibliothekarischen Suchumgebungen sollte angestrebt werden, um den Informationsbedürfnissen der Nutzer Rechnung zu tragen.

  • #2

    Hanke Immega (Montag, 23 Februar 2015 10:49)

    Die Fälle, wenn Ausgaben desselben Werks teils unter dem wirklichen Namen und teils unter dem Pseudonym erscheinen sowie wenn beide Namen genannt sind, lassen sich m.E. nur dann sinnvoll nach RDA erschließen, wenn wir die in 6.27.1.7 vorgesehenen normierten Sucheinstiege des Werks (d.h. inkl. Verfassernamen!) umsetzen - das erfordert also noch eine Erweiterung der Anwendung von Werkdatensätzen oder zumindest Strukturänderungen in den Manifestationsdatensätzen ...

  • #3

    Hanke Immega (Mittwoch, 06 Mai 2015 15:44)

    Wenn im Datensatz für die MANIFESTATION implizit der normierte Sucheinstieg für den ersten geistigen Schöpfer des WERKS erfasst wird, wie in den Hinweise zu den Beispielen hier erwähnt (z.B. http://www.basiswissen-rda.de/zusatzmaterial-1/beispiele-in-pica3-swb/kapitel-13/), bleibt in den Fällen, wenn in der Verantwortlichkeitsangabe der Name einer abweichenden Identität derselben Person erscheint (wirklicher Name oder Pseudonym), eigentlich nur die Möglichkeit, diese Identität als eine sonstige Person (wohl in Verbindung mit dem Werk) zu erfassen.

    Letzlich ist dieser Fall ja auch analog zu den bislang schon bekannten, bei denen in einer Ausgabe eines Werkes Personen als Verfasser angegeben waren, die wirklichen Verfasser jedoch ermittelt wurden. In den RAK war dieser Fall explizit in § 608 geregelt - sind solche Fälle nach RDA 19.3.1.3 zu behandeln ("Erfassen Sie sonstige Personen ..., die mit dem Werk in Verbindung stehen, wenn das als wichtig für den Zugang angesehen wird")?

  • #4

    Heidrun Wiesenmüller (Mittwoch, 06 Mai 2015 16:16)

    Lieber Herr Immega, jetzt bin ich nicht sicher, ob ich Sie richtig verstehe. Das in der Manifestation verkörperte Werk (RDA 17.8) wird ja dadurch implizit angegeben, dass im Datensatz sowohl der geistige Schöpfer erfasst ist (als Beziehung) als auch der bevorzugte Titel des Werks. Aus der Kombination der beiden Informationen ergibt sich der normierte Sucheinstieg für das Werk. Das Problem ist natürlich, dass der geistige Schöpfer auf der Werkebene bestimmt wird, also deshalb bei allen Manifestationen des Werks identisch sein muss. Wenn ich mich also einmal dafür entschieden habe, eine bestimmte Identität als geistigen Schöpfer anzusehen, dann muss ich auch dabei bleiben - auch dann, wenn in der Verantwortlichkeitsangabe einer späteren Manifestation eine andere Identität genannt wird. In diesem Fall würde ich, glaube ich, eine Anmerkung zur Verantwortlichkeitsangabe (RDA 2.17.3) schreiben.

  • #5

    Hanke Immega (Freitag, 08 Mai 2015 09:17)

    Liebe Frau Wiesenmüller, genau das war mein Problem - und eine Anmerkung ist natürlich auf jeden Fall angemessen. Nur sollte meines Erachtens die andere Identität auch suchbar gemacht werden, da sonst ggf. unter der einzigen genannten Person die Manifestation nicht gefunden würde. Und da bleibt dann doch nur RDA 19.3.1.3 ("Erfassen Sie sonstige Personen ..., die mit dem Werk in Verbindung stehen, wenn das als wichtig für den Zugang angesehen wird"), oder?

  • #6

    Heidrun Wiesenmüller (Samstag, 09 Mai 2015 07:10)

    Lieber Herr Hammega, der Fall ist wirklich schwierig. Vielleicht wäre es wirklich eine Lösung, in so einem Fall die andere Identität unter 19.3 zu erfassen, wie Sie vorschlagen. Beispiel: Geistiger Schöpfer wäre Richard Bachmann (weil das Werk ursprünglich mit Zuordnung zu diesem Pseudonym veröffentlicht wurde), aber Stephen King wäre "Sonstige Person etc. mit Verbindung zum Werk", wenn in einer späteren Ausgabe in der Verantwortlichkeitsangabe eben nicht mehr Richard Bachmann, sondern Stephen King steht. In diesem speziellen Fall ist es, glaube ich, eher so, dass es heißt "Stephen King writing as Richard Bachmann", aber es gibt sicher auch Beispiele, wo die ursprünglich genannte Identität gar nicht mehr auftaucht. Wir müssten das wohl mal in der AG RDA diskutieren, zumal ich argwöhne, dass das Phänomen gar nicht so selten auftaucht.

  • #7

    Heidrun Wiesenmüller (Samstag, 09 Mai 2015 07:13)

    Uups, jetzt habe ich "Hammega" statt "Immega" geschrieben, sorry! Es ist aber auch ein schwieriger Name...